Arzt für Kinder- und Jugendmedizin, Neonatologe, Dipl. Biologe,
Asthmatrainer, Psychosomatik, Reisemedizin, Gelbfieberimpfstelle
Bismarckstr. 80,
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Jatros Pädiatrie, Ausgabe 4/02
Prim. Univ.-Prof. Dr. Franz Grill,
Leiter der Kinderorthopädischen Abteilung, Ärztlicher Direktor des Orthopädischen Spitals Wien-Speising
Zu Beginn des neuen Schuljahres wird es für viele Schulkinder wieder ein Problem geben: die zu schwere Schultasche. Denn trotz vielfacher Aufklärungsarbeit durch Orthopäden und Schulärzte, meist in Zusammenarbeit mit dem Elternverein ist es noch immer nicht gelungen, das Problem Schultasche zu lösen.
Bei einer von uns durchgeführten Untersuchung wurden 285 Kinder im Alter von 6 bis 19 Jahren (1.-12. Schulstufe) und ihre Schultaschen untersucht. Dabei wurden das Körpergewicht der Kinder sowie das Gewicht der vollen Schultasche gemessen und der Typ der Schultasche sowie die Art des Tragens evaluiert.
Die Ergebnisse unserer Studie zeigten ein sehr unausgewogenes Bild. Auffällig war, dass innerhalb derselben Klasse sehr unterschiedliche Taschenbruttogewichte anzutreffen waren. So betrug z.B. der Unterschied zwischen der leichtesten Tasche und der schwersten Tasche innerhalb einer Klasse bis zu 633%. Das absolute Schultaschengewicht nahm von der 1. bis zur 5. Schulstufe kontinuierlich von 2,3 auf 6,9 kg durchschnittlich zu, blieb dann bis zur 10. Schulstufe relativ konstant und fiel in der 11. und 12. Schulstufe deutlich ab. Die schwersten Schultaschen fanden sich in der 5. Schulstufe, in der 1. Klasse einer Mittelschule mit 10,4 kg. Bezogen auf das Körpergewicht ergab das einen Wert von 23,8%. Die leichteste Schultasche mit 1,2 kg (2,2% in Relation zum Körpergewicht) fand sich in der 12. Schulstufe. Dies zeigt, dass gerade die Kinder der unteren Schulstufen überproportional schwere Schultaschen zu tragen haben. Nur in der 1., der 11. und der 12. Schulstufe stimmte die Relation zum Körpergewicht. In den Maturaklassen benötigen die Schüler die leichtesten Schultaschen, bzw. überhaupt nur mehr Geldbörse und Handy. Es ist offensichtlich, dass ein bestimmter Teil der Schullast ohne Sinn und Zweckmäßigkeit getragen wird und damit das Schultaschenbruttogewicht jene Dimension erreicht, die bezogen auf das Körpergewicht und die Belastbarkeit der kindlichen Wirbelsäule eine zu hohe Belastung darstellt.
Was die Art der verwendeten Taschen betrifft, so wird in den ersten beiden Schulklassen hauptsächlich der typische Schulranzen verwendet. Von der 3. Schulstufe an beginnt sich dann zunehmend der Schulrucksack (Scoutbag) durchzusetzen, der von 60% aller Kinder getragen wird. 31% der Kinder verwendeten die klassische Schultasche, nur 9% verwendeten einen Aktenkoffer oder anderes. Die Herstellung der Schultaschen wird durch die ÷-Norm A 2170 aus dem Jahr 1993 geregelt. Das Leergewicht der Schultasche darf 1,6 kg nicht ¸bersteigen, die Breite der Schultasche soll zwischen 34 und 41 cm, die Höhe zwischen 31 und 35 cm und die Tiefe zwischen 13 und 17 cm messen. Die Tragriemen sollen 40 mm breit, gepolstert, stufenlos verstellbar und eine Länge von mindestens 600 mm aufweisen. Die Verschlüsse der Trageriemen sollen von Schülern einfach und schnell zu öffnen und zu verstellen sein. Das Gesamtgewicht der Tragmasse soll laut ÷-Norm 12,5% der Körpermasse nicht übersteigen. Die im Handel erhältlichen Schultaschen bieten angepasst zum Alter des Schulkindes unterschiedliche Größen von 31x29x10 cm (Fa. Essl) bis 36,5 x30x18 (Fa. Schneiders) an. Das Querformat hat den großen Nachteil, dass der Inhalt der Tasche seitlich verrutschen kann und damit durch eine ungleichmäßige Gewichtsverteilung eine asymmetrische ungesunde Belastung aufgezwungen wird. Durch das Hochformat des Schulrucksackes bzw. Tornisters (Abmessung z. B. 34x36x15) ist die Sicherheit der richtigen Gewichtsverteilung gegeben. Beim Hochformat entfällt außerdem das Hängen bleiben im Verkehrsgedränge, z.B. beim Einsteigen in den Bus ñ wie dies bei den schweren Schultaschen im Querformat oft vorgekommen ist.
Die im Rahmen unseres Schultaschenbeurteilungstestes leichteste Schultasche ist die Compact-Schultasche Federleicht mit 900 g (Fa. Essl). Schultaschen mit einem Leergewicht von über 1.200 g sollten nicht gekauft werden. Neben dem relativ auf das Körpergewicht bezogenen Taschenbruttogewicht ist die Art des Tragens der Schultasche für die Entstehung von Haltungsfehlern von entscheidender Bedeutung. Schulrucksäcke werden nur etwa von 1/3 der Kinder korrekt am Rücken getragen. 2/3 der Kinder, vor allem in höheren Schulstufen, tragen den Schulrucksack an ihrer rechten Schulter. Wir haben kein einziges Kind gefunden, das den Schulrucksack links getragen hat. Untersuchungen im Ganglabor zeigen, dass ab einer Beladung von Schultaschen von über 10% des Körpergewichtes ein zunehmender Anstieg des Vorwärtsbeugens des Rumpfes erfolgt. Gleichzeitig kommt es beim Gehen zu einer Verlängerung der Standphase, um nicht die Balance zu verlieren. Mit einer verstärkten Belastung kommt es weiter zu einer Verkürzung des Single Support. Wird die Schultasche mit 2 Riemen getragen, so ist der Energieverbrauch am geringsten. Wird die Schultasche an einer Schulter getragen, so kommt es zu einer Haltungsimbalance, nach der Schwungphase benötigen die Kinder eine größere Kraft, um die Balance wieder herzustellen. Ungünstig ist es auch, wenn die Schulterriemen nicht ausreichend angezogen werden und der untere Teil der Schultasche nicht ergonomisch korrekt am Rücken aufliegt, sondern in die Lendenwirbelsäule drückt und die Schultasche im Hohlkreuz nachgestellt wird. Je näher der Körperachse und dem Körperschwerpunkt eine Last getragen wird, desto geringer sind die dabei auftretenden Hebelkräfte. Der Tragekomfort wird auch durch besonders breite und weich gepolsterte Tragriemen, die stufenlos längenverstellbar sind, damit der Tragriemen der jeweiligen Kleidung leicht angepasst werden kann, verbessert. Die Leichtgängigkeit der Einstellung der Trageriemen ist deshalb notwendig, da bei zu lockerer Einstellung die Schultasche nicht mehr am Rücken gleichmäßig aufliegt, sondern verkippt und der untere Schultaschenrand in die Lendenwirbelsäulengegend drückt und damit die Haltung negativ beeinflusst.
Hochformatschultaschen ist gegenüber Breitformatschultaschen der Vorzug zu geben, da das Gewicht der Schultasche sich gleichmäßig und besser auf dem Rücken des Schulkindes verteilt und es auch nicht so leicht zu einem Verrutschen der Schultasche durch Seitverlagerung des Tascheninhaltes kommen kann. Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit am Schulweg ist es zu empfehlen, dass ausreichend lichtreflektierende Flächen angebracht werden, die sowohl bei Helligkeit als auch bei Dunkelheit gut sichtbar sind. Schultaschen, die ähnlich wie eine Fallschirmausrüstung aus einem Rücken und einem Brustteil bestehen, sind nicht zu empfehlen: der Blick der Kinder auf den Boden, auf die eigenen Füße ist nicht mehr möglich, die Atmung wird erschwert, unter Umständen ist bei Unfällen ein Strangulationsrisiko gegeben. Finden all die erwähnten Überlegungen beim Kauf der Schultasche und im täglichen Schulalltag ihre Berücksichtigung, so ist die Schultasche ein für die Haltung unschädlicher Tragebehelf, und das Problem Schultasche sei gelöst.